Auch dieses Jahr wieder lädt uns der Monat Mai zu einer traurigen Feier ein. Der Anlaß ist der Jahrestag der Eroberung Konstantinopels, die das Licht und das Leben der Menschheit war. Wäre diese Trauer wie die Trauer Adams eine Trauer des Erkennens und der Reue, so würde daraus ein verändertes Denken und Handeln entstehen. Unsere Nation würde in ihrer Entwicklung entscheidend beeinflusst werden. Vor allem aber würde die bayerische protestantische Tradition entwurzelt werden, die sich, seitdem sie 1833 vom Mitglied des Regentschaftsrates Maurer und seinem erbärmlichen klerikalen Mitstreiter Theoklitos Farmakidis gewaltsam den Neugriechen aufgezwungen wurde, in deren Philosophie, Theologie und Leben verankerte.
Die bayerische protestantische Denkweise und Weltanschauung ist zur Überzeugung unseres Volkes geworden!
Die bayerische protestantische Denkweise und Weltanschauung ist nach und nach zur Überzeugung unseres Volkes geworden. Unsere Väter haben uns zwar von der Herrschaft der Bayern befreit -die unter Ausnutzung der Tatsache, daß Otto minderjährig war, die religiöse Politik Luthers in unserem orthodoxen Land etablierten- aber sie haben die protestantische Praxis nicht beseitigt. So wird unsere Nation nun schon seit zwei Jahrhunderten hin und her gerissen beim Versuch, ihr Selbstverständnis wiederzufinden, und „es gibt keinen Helfer“. Heute sieht man klar und deutlich, dass die kirchliche Gesetzgebung von 1833 einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung unserer Nation nahm. Der durch und durch vom protestantischen Geist geprägte Text der Gesetzgebung konnte nur auf dem Leichnam des Märtyrers Kapodistrias, dieses einmaligen Trägers unserer Orthodoxen Väterlichen Tradition, verfasst werden. Dieser beschämende Text legt fest, dass „die Orthodoxe Östliche Kirche des Königtums Griechenland Jesus Christus als Haupt und den König Griechenlands als Führer hat“![1]
So setzte sich in absoluter Form das Staatskirchentum durch. Die Herrschaft des Staates über die Kirche nahm solche Ausmaße an, dass in unseren Tagen das Evangelium immer stärker zurückgedrängt wird und der Klerus sogar mit Gefängnisstrafe bedroht wird, wenn er z.B. lehrt, dass homosexuelles Verhalten eine Entstellung der von Gott eingerichteten menschlichen Natur ist.
Nebel, der die klare Sicht auf unsere Geschichte erschwert
Dazu kommt noch eine Vernebelung der wahren Gegebenheiten. Da die heutigen Texte, die die Beziehungen zwischen Staat und Kirche regeln, sehr gemäßigt klingen und dem Anschein nach das friedliche Nebeneinander von Staat und Kirche im gegenseitigen Einverständnis regeln, wurde die klare Sicht auf unsere Geschichte erschwert. Diese Tatsache, begleitet von den vielfachen Verurteilungen der Bayern, die unserem Land ja so viel Übel zugefügt haben, lässt uns nun ruhig schlafen, macht uns unfähig zu erkennen, dass unsere Lebensweise und unser Glaube eingeführte protestantische Lebensweise und eingeführter protestantischer Glaube sind. Sie sind die Ausgeburt der Eier, die die protestantische Schlange uns als Erbe hinterlassen hat.
Die Tragik der Situation wird im vom Protestantismus infizierten öffentlichen Leben offenkundig, das den seelischen Kern des Griechen, seine Orthodoxe Religiosität, entstellt hat. Mit teuflischer Gründlichkeit manipuliert der Staat fast vollkommen diese Orthodoxe Religiosität und leitet sie in die Richtung des jeweils “politisch Gebotenen“, während die Kirchenführung “unsicher und durcheinander“ willig hinterherrennt!
Der Staat herrscht überall, er hat es geschafft, das Orthodoxe Christliche Kriterium von allen Seiten des öffentlichen und privaten Lebens der Bürger auszuschließen und nur auf die Gottesdienste zu beschränken.
Diesen Ausschluss Gottes aus dem öffentlichen Leben rufen uns die den europäischen Eroberern willig ergebenen Politiker voll Stolz in Erinnerung, wenn sie verkünden: “der Staat wird der Meinung der Kirche hören wie auch der übrigen Träger und Organisationen“! Das bedeutet: Offiziell den Texten nach ein friedliches Nebeneinander, in der Praxis jedoch die absolute Herrschaft des Staates über die Seele und den Körper des Volkes, der Gott soviel Raum lässt wie einem Verein!
Lasst uns die protestantische Mentalität verwerfen
Diese einleitenden Gedanken zeigen deutlich, dass wir, um die Eroberung Konstantinopels bewerten und von dieser Bewertung profitieren zu können, die protestantische Mentalität als Volk gänzlich verwerfen müssen. Uns bleibt nur, die säkularisierten Fesseln unserer psychosomatischen Existenz zu sprengen, die uns die amerikanisch-europäische humanistische Unmenschlichkeit mit der Hilfe unserer amoralischen Politiker angelegt haben, die da richtungsweisend verkünden: „Wir gehören zum Westen“. Der Klerus hüllt sich indessen in schuldbeladenes Schweigen und glänzt durch Tatenlosigkeit.
Diese Politiker/Vergewaltiger des eigentlichen Willens unseres Orthodoxen Volkes bauen widerstandslos mit am neuen europäischen Babel und werden eins mit seiner Kultur. Sie sind unfähig, das Ausmaß der selbstverursachten Katastrophe zu begreifen, weil ihnen die theologischen Kriterien fehlen, die einzigen, die eine klare Sicht des Lebens und der Wirklichkeit ermöglichen. „Der Heutigen und der Zukünftigen“!
Somit ist die Pflicht der Kirche, unsere Nation zu schützen, auch heute von außerordentlicher Bedeutung.
Unsere Kirche ist verpflichtet, unserem Volk zu erklären, daß das Problem der Menschheit kompliziert und in erster Linie theologisch ist, weil der Mensch Gott ähnlich ist. Das Problem der Menscheit ist nicht das, was die meisten Menschen heute zu beschäftigen scheint. Die Kirche ist verpflichtet zu erklären, dass die heutige Denkweise, Theologie, Wissenschaft, Politik und die Art, wie diese miteinander verbunden sind, eine Geburt des Protestantismus sind. Dieser hat, wie der große heutige Heilige Justin Popovic schreibt, „in vielen Punkten selbst Arius an Arianismus übertroffen“.
Arius hat Gott von Christus entfernt und damit Christus zu einem einfachen Menschen gemacht. Der Protestantismus hat nach Jahrhunderten Gott aus dem gesamten öffentlichen Leben (!) entfernt, um die heidnische Praxis eines auserwählten Politikers – Führers nicht nur auf Staatsebene sondern auch auf der Ebene Gottes und Seiner Kirche wiederzubeleben.
Der europäische Staat bestimmt nunmehr, was richtig und was falsch, was Wahrheit und was Lüge ist, er ordnet an, dass all das was Gott -die Wahrheit- durch Seine Kirche geoffenbart hat, falsch und Lüge ist. Der heilige Justin stellt offenbarend fest: „Der Arianismus wurde noch nicht beerdigt, er ist heutzutage in Mode wie nie zuvor und mehr denn je verbreitet. Er hat sich als Seele im heutigen Körper Europas verbreitet. Wenn Sie Europas Kultur anschauen, werden Sie ganz tief unten versteckt den Arianismus erkennen: Hier ist alles allein auf den Menschen begrenzt, und auch den Gottmenschen Christus haben sie auf den Menschen verkleinert. Mit dem Vorteig des Arianismus wurde die Philosophie Europas geknetet und auch seine Wissenschaft, seine Kultur und teilweise auch seine Religion. Überall wird Er systematisch auf den einfachen Menschen begrenzt... Immerzu wird das Werk des Arius fortgesetzt... Die europäische Wissenschaft steht der Philosophie um nichts nach in ihrer arianischen Beziehung zu Christus. Der Protestantismus hat durch viele seiner Vertreter in vielen Punkten selbst Arius an Arianismus übertroffen“![2]
Der heilige Konstantin der Große bringt den Arianismus zu Fall, um Konstantinopel zu errichten
Genau deswegen hat der heilige Konstantin der Große Arius und die dem Tod geweihte anthropozentrische Politik bekämpft, um unser Orthodoxes Imperium zu errichten und dessen Weg in der Geschichte mit „der Gemeinschaft durch das Kreuz“ vorzuzeichnen. Damit eröffnete er Konstantinopel ewige Dimensionen. Der Heilige war sich im Klaren, dass, ließe man Arius weiterhin ungestört den Gottmenschen-Christus un-göttlich machen, dies dazu führen würde, daß Gott aus dem Leben Konstantinopels verbannt würde und es somit der Einbahnstraße aller dem Tod geweihten Königtümer der Welt folgen würde, die kurz wie Sternschnuppen erstrahlten und dann wieder schnell vom Horizont der Geschichte verschwanden. Konstantinopel ist das einzige historische Faktum, das 1.000 Jahre überdauerte, das einzige Königtum mit einer einzigen Goldwärung, die sich über 1.000 Jahre bewährte.
Der Kampf gegen den Arianismus endete nicht direkt nach dem Ersten Ökumenischen Konzil, er dauerte einige Jahrhunderte an. Danach sah es so aus, als würde der Arianismus dahinschwinden, doch heimlich und unsichtbar verwandelte er sich, bis er schließlich wieder sein wahres Gesicht zeigte, kurz vor der endgültigen Eroberung der Stadt der Städte.
Papsttum, die Tür des Wiedereintritts des Arianismus in die Geschichte der Menschheit
Der Arianismus zeigte wieder sein wahres Gesicht, als das Volk und seine Herren aufs Neue begannen, Christus un-göttlich zu machen, indem sie ihn mehr als Menschen betrachten, so wie sie selbst sind, und weniger oder gar nicht als Gott.
Die Umarmung des Manuel Komninos mit dem Papsttum als Rettungschance, war der Anfang vom Ende der Unsterblichkeit (wegen „der Gemeinschaft durch das Kreuz“) Konstantinopels. Das Papsttum wurde –durch die Unfehlbarkeit des Menschen-Papstes‒ zur Tür des Wiedereintritts des Arianismus in die Geschichte der Menschheit; denn „der Fall des Papstes besteht darin, dass er den Gottmenschen durch den Menschen ersetzen will“.[3] „Der Kern des Dogmas über die Unfehlbarkeit des Papstes = des Menschen“ ist „die Entgottmenschlichung (die Abwendung von der Gottmenschlichkeit) des Menschen“.[4]
Die Umarmung mit dem von der Kirche abgefallenen Papst und ein paar Jahrhunderte später der Gipfel dieser Umarmung mit der widerlichen gemeinsamen Liturgie von Orthodoxen und Lateinern, die der Kaiser Konstantin der Paläologe schamlos befahl -und zwar auf dem heiligen Altar der Hagia Sophia!-, hatte den endgültigen Fall der bis dahin ewigen Einzigartigen Stadt zur Folge, der Königin der Städte, da der Gott unserer Väter aus ihrer Regierung vertrieben wurde.
Der Fall Konstantinopels zeugt im Laufe der Jahrhunderte von der Sterblichkeit aller Humanismen und ihrem endgültigen Versagen; denn auch gemäß der formulierten Allwahrheit “ist das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes der Gipfel des Nihilismus“.[5]
„Durch dieses Dogma hat der Mensch Europas in entscheidender dogmatischer Form das Dogma der Selbstgenügsamkeit des europäischen Menschen verkündet und dadurch eindeutig gezeigt, dass er den Gottmenschen nicht braucht und dass es auf der Erde für den Gottmenschen keinen Platz gibt. Der Stellvertreter Christi -Vicarius Christi- ersetzt ihn vollkommen. Von diesem Dogma lebt in Wirklichkeit ein jeder europäischer Humanismus, diesem Dogma folgt er und dieses bekennt er beharrlich.
Alle Humanismen des europäischen Menschen sind im Grunde nichts anderes als die nicht enden wollende Revolution gegen den Gottmenschen Christus. Auf jede nur denkbare Weise wir die „Umwertung aller Werte“ durchgesetzt. Der Gottmensch wird überall vom Menschen ersetzt. Auf allen europäischen Thronen wird der Mensch des europäischen Humanismus inthronisiert. Demnach gibt es nicht nur einen Vicarius Christi sondern unzählige, nur in verschiedener Aufmachung. Denn letztendlich durch das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes wurde generell der Mensch als unfehlbar erklärt. Daher kommen die unzähligen über ganz Europa verteilten Päpste, sowohl des Vatikans als auch des Protestantismus. Unter ihnen gibt es keinen wesentlichen Unterschied, weil das Papsttum nach den Worten des Künders der Wahrheit, Chomjakow, der erste Protestantismus ist.“[6]
Sollte jemand angesichts all dessen, was wir hier kurz dargestellt haben, unberührt und uninteressiert bleiben, so bedeutet das, dass er wirklich sein Dasein entgottmenschlicht (seinem Dasein die Gottmenschlichkeit entzogen) hat. Das gilt weit mehr noch für alle diejenigen, die Beziehungen und kirchliche Gemeinschaft mit dieser Art von Häretikern schaffen. Sie stellen damit unter Beweis, dass ihnen nicht im Geringsten bewusst geworden ist, was in der Weltgeschichte passiert ist! Alle diese Menschen und zusätzlich auch unsere fehlende Reue bewirken, dass die Stadt erobert bleibt, zugedeckt mit dem Staub des Vergessens und der „unfehlbaren“ (!) Kriterien unserer sterblichen, „fraglichen und kleinmütigen“ Eingebungen.
Möge das diesjährige Jubiläum zum Jubiläum des geistlichen Erwachens und der grundlegenden Erneuerung für uns werden!
Erzpriester Vasilios E. Voloudakis
[1] Gerasimos Konidaris, Krichengeschichte Griechenlands, Athen 1970, S. 235 (griech.).
[2] Hl. Justin Popovic, Mensch und Gottmensch, Athen 1969, S. 140 f. (griech).
[3] AaO., S. 153.
[4] AaO., S. 157.
[5] AaO., S. 158.
[6] AaO., S. 158.